„ Wien Modern und Modernes Wien“ war das Thema des bereits 5. Kulturspaziergang des Konventikels Wiener Weinberge, der bei tropischen Temperaturen am Samstag, den 18. Juni 2022, stattfand. Los ging's beim besten Beispiel der Wiener Moderne, dem Gebäude der Österreichischen Postsparkasse (1906), eines der bekanntesten Jugendstilgebäude Wiens, geplant und gebaut von Otto Wagner. Es war vor allem der Jugendstil und seine imposanten Bauten, die uns von Bibiane Krapfenbauer näher gebracht wurden.
Doch zurück zur Österreichischen Postsparkasse. Die Fassade ist mit 42.000 quadratischen Marmortäfelchen und Aluminiumapplikationen belegt, die an einen Geldspeicher erinnern sollen. An Tief- und Hochparterre sind Granitplatten angebracht. Dies gilt als besonders geglückte Synthese aus Funktionalität und Ästhetik: Die Nieten, mit denen die Marmorverkleidung scheinbar an der Wand befestigt ist, sind ausschließlich Ornament und gliedern die Fassade. Da die ca. 10 cm dicken Platten vom Putz gehalten werden, kommt den Nieten keine tragende Funktion zu. Das achtgeschossige Gebäude war bis 2017 die Zentrale der Bawag P.S.K. Seit 2020 erfolgt der Umbau zum Wissenschaftscampus der Universität für angewandte Kunst, der Kunstuniversität Linz und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
In der Falkestraße 6 beeindruckte der futuristische Dachausbau der Architekten Coop Himmelb(l)au. Auf dem 1902 von Carl Mayer erbauten Haus errichtete Coop Himmelb(l)au für die Rechtsanwälte Schuppich, Sporn und Winischhofer von 1983 bis 1988 diesen dekonstruktiven Aufbau. Durch ein raffiniertes Lichtsystem funkelt das Dach in der Nacht wie ein Kristall, es wurden die ersten gebogenen Fensterscheiben eingesetzt. Mit dieser einzigartigen Gesamtkonstruktion gelang dem Architekturbüro der internationale Durchbruch, der Dachausbau wurde zum meistpublizierten Projekt der österreichischen Nachkriegsarchitektur und zur Pilgerstätte für Architekturbegeisterte aus aller Welt.
Vorbei am Jugendstilhaus Nr. 14 (erbaut von Dehm/Olbrich) mit sehenswerten Ornamentformungen in Anlehnung an Olbrichs Secessionsgebäude gingen wir die Dominikanerbastei, entlang an der ehemaligen Postzentrale , welche derzeit groß umgebaut wird. Die deutsche „denkmalneu“-Gruppe hat das Gebäude in der Postgasse von den früheren Eigentümern Soravia Group und Wertinvest gekauft und möchte ein lebendiges Haus mit gemischter Nutzung daraus machen. Teil des riesigen Objektensembles ist auch die griechisch-katholische Kirche St. Barbara, die noch in Betrieb ist und für die ein grundbücherlich besichertes Nutzungsrecht gilt. Der Bestandsbau geht auf ein Mitte des 17. Jahrhunderts errichtetes Konviktsgebäude der Jesuiten zurück.
Beim Fleischmarkt / Ecke Laurenzerberg blickten wir Richtung Taborstraße. Sehr markant ist auf der rechten Seite Jean Nouvels 75m hohes Luxushotel So/Vienna (53.000 m2) am Wiener Donaukanal. Im 18. Stock befindet sich das Panoramarestaurant „Le Loft“ mit spektakulärer Lichtdecke von Pipilotti Rist. Gemeinsam mit dem gegenüberliegenden Media-Tower von Hans Hollein bildet dieser Turm ein architektonisches Tor zum zweiten Wiener Gemeindebezirk, der Leopoldstadt.
Weiter ging's entlang des Fleischmarktes, benannt nach dem Marktplatz und dem ältesten Sitz der Fleischhaus aus im 13. Jahrhundert. In den 1830er Jahren wurde hier das erste Geschäftshaus errichtet. 1909 folgte ein legendärer Neubau: Der Residenzpalast, errichtet nach den Plänen des Jugendstilarchitekten Arthur Baron. Er gehörte mit seiner impliziten Ausformung funktionalistischer Tendenzen zu einem der bedeutendsten Vertreter der frühen Wiener Moderne. Es entstand ein architektonisch wertvolles, durch die Verwendung der damals aufkommenden Stahlbetonpfeiler zum Tragen der schweren Druckmaschinen aber auch ein bautechnisch visionäres Gebäude, welches 1913 mit den benachbarten Gebäuden Fleischmarkt 3 und 5 zu einem großen Druckereizentrum zusammengefasst wurde. Das Geschäftshaus wurde für die Verlagsgesellschaft Steyrermühl im spätsecessionistischen Stil errichtet. Hier wurde das NEUE WIENER TAGBLATT herausgegeben. Zwischen 1938 und 1945 Besitz des Ostmärkischen Zeitungsverlages, 1945 bis 1955 von der KPÖ gepachtet, die hier den GLOBUS-Verlag und mehrere Zeitschriften ( VOLKSSTIMME ) führte. Eine Zeit lang befand sich hier auch das Teppichhaus Genersich & Orendi, nach dem sich der Name Orendihof eingebürgert hat. An der Fassade beim Tor wurde Marmor rosso aus Verona (rot gefleckt) und Granit Multicolore Dark (dunkelbraun) verwendet!
Der gesamte Altbestand des berühmten Jugendstilobjekts wurde mit seinen großzügigen historischen Fassaden im Jahr 2016 von Breitwieser in Zusammenarbeit mit dem Bundesdenkmalamt (BDA) revitalisiert. Stilerhalt war dabei höchste Priorität. Die meisten Elemente an der Fleischmarktseite und der Rotenturmstraße hat man originalgetreu wiederhergestellt und die eindrucksvollen, raumhohen Verglasungen in den unteren Geschoßen behutsam restauriert. An der Rückseite zum „Steyrerhof“ liegt der Eingang zu den „Kammerspielen“ , die sich im Keller des Gebäudes befinden.
Vorbei am Griechenbeisl und nach einer kurzen Rast im Fenster Cafe (das kleinste Kaffeehaus von Wien) ging's zum Hohen Markt. Auf einem nur 153 m² großen Eckgrundstück glänzt hier wie ein dunkler Edelstein das neue Designhotel TOPAZZ Lamee, entworfen vom Architektbüro BWM Architekten (Erich Bernard) und DI Michael Manzenreiter. Ein gelungener Kontrapunkt im historischen Stadtbild. Wobei das Gebäude auf Nachhaltigkeit und ressourcenschonenden Energieeinsatz geplant wurde. Heizung und Kühlung erfolgen nach dem Prinzip der Grundwasser-Wärmepumpe und die Energierückgewinnung durch eigene Tiefbrunnenanlagen.
An der Brandstätte standen wir dann vorm Zacherlhaus , einer Eisenkonstruktion nach einer Idee von Otto Wagner, vom slowenischen Architekten und Otto Wagner-Schüler Josef Plecnik entworfenes Wohn- und Geschäftsgebäude (1903- 1905). Der Bauherr, Johann Evangelist Zacherl, war Sohn des Fabrikanten Johann Zacherl (1814 – 1888) , des Gründers der Zacherlfabrik (im Volksmund auch Wanzenburg genannt) , in der Insektenvertilgungsmittel hergestellt wurden. Die Figur an der Fassade, die den Erzengel Michael darstellt, schuf Ferdinand Andri , die Atlanten stammen von Franz Metzner: Sie scheinen aus Metall zu sein, sind jedoch aus Majolika! Das denkmalgeschützte Gebäude zählt heute zu den bedeutendsten Bauten der Otto Wagner- Schule. Es befindet sich im Eigentum der Nachkommen von Johann Zacherl und dient als Bürogebäude.
Eines der zentralen Bauwerke der Wiener Moderne ist das Looshaus. Es markiert die Abkehr vom Historismus, aber auch von dem floralen Dekor des Secessionismus. 1909 erteilte Leopold Goldmann nach einem Architekturwettbewerb, aus dem kein siegreicher Entwurf hervorging, freihändig Adolf Loos den Bauauftrag zur Errichtung eines Geschäftsgebäudes für das Nobelgeschäft Goldman & Salatsch. Bauleiter war Ernst Epstein. Loos' schlichter und ornamentloser Architekturstil führte jedoch 1910 zu einem großen Skandal, weshalb ein Baustopp verhängt wurde. Es war die Rede von einer „unanständigen Nacktheit“ der oberen Fassade. Es wurde von den Wienern Haus ohne Augenbrauen genannt, da die damals üblichen Fensterverdachungen gänzlich fehlten. Es heißt, Kaiser Franz Joseph habe nicht nur den Rest seines Lebens vermieden, die Ausfahrt am Michaelerplatz zu benützen, sondern auch die Fenster der Hofburg vernageln lassen, damit er das „scheußliche“ Haus nicht sehen musste. Erst als Loos einwilligte, dieser Nacktheit mittels Blumenkästen entgegenzuwirken, wurde mit dem Bau fortgesetzt und dieser schließlich 1912 vollendet.
Den Abschluss der Stadtführung bildete Wiens 1. Hochhaus in der Herrengasse. Das mit der Planung des Hochhauses beauftragte Architekturbüro Theiss & Jaksch (unter dem Namen Schwalm- Theiss & Bresich existiert das Architekturbüro noch heute und ist damit das älteste in Wien) errichtete Ende der 1920er Jahre dieses Gebäude der gemäßigten Moderne. Sowohl der klar strukturierte Baukörper, der nur in den letzten Geschossen zurückgestaffelt wird, als auch der Verzicht auf jegliches Dekor und die schlichte, aber farblich abgesetzte Geschäftszone suggerieren eine weltläufige Modernität.
Nach den 18 Monate dauernden Bauarbeiten wurde am 17. November 1932 das Haus (ca. 50 m hoch) in Anwesenheit von Bundespräsident Wilhelm Miklas eingeweiht. 1932 zogen bereits die ersten Mieter ein. So wurden 105 der 225 Wohnungen als sogenannte „Ledigen-Wohnungen“ für alleinstehende Herren und Damen mit einer Fläche von 20 bis 93 m² geplant. Diese Wohnungen verfügten über keine Küche, sondern lediglich über eine kleine Kochgelegenheit im Vorraum, denn es war beabsichtigt, dass sich die Mieter ihr Essen nicht selbst kochen, sondern dieses über ein im Dachgeschoss untergebrachtes Restaurant beziehen sollten (dieses Projekt jedoch scheiterte letztlich). Weiters gab es auch eine Espresso- und Milchbar im Rondeau des Eingangsbereiches und eine zentrale Waschküche. Dem freien, selbstbestimmten, ehelosen Leben stand im ersten Wiener Hochhaus also nichts mehr entgegen. Ein direktes Durchgreifen der Architektur des Hauses auf die Wiener Gesellschaft zeigte sich daran, dass sich ein nicht unerheblicher Teil der Wiener Prominenz – Burgschauspieler wie Maria Kramer, Paula Wessely, Curd Jürgens, Oskar Werner, Ilse Aichinger, Daniel Kehlmann, Pavel Kohout, Christoph Waltz uva. – im Hochhaus einmietete. Mit Stand 1. Oktober 2018 ist das Haus immer noch in Familienbesitz.
Zum unterhaltsamen und geselligen Ausklang des 5. Wiener Kulturspazierganges ging's in die Feinkosterei am Judenplatz.
Text: Bibiane Krapfenbauer, Karl Seidelmann
Fotos: Karl Seidelmann